Liquide Formen 1800

Internationale Tagung Kulturwissenschaftliches Kolleg Konstanz

Internationale Tagung vom 12.-14. Oktober

Formbegriff und Wasserströme scheinen zunächst gegensätzlichen, wenn nicht gar sich ausschließenden Denk- bzw. Phänomenbereichen anzugehören. Wo Form als konturiertes und integriertes Gebilde verstanden wird, muss liquide Bewegung immer schon sistiert sein, so wie sich Wasser umgekehrt durch Gestaltlosigkeit auszeichnet, das sich zwar einfassen, aber selber nicht formieren lässt.

Gegenüber einer solchen Divergenz von Form und Fluidum ist für die Sattelzeit um 1800 ein Konzept der endogenen Form (Wellbery) profiliert worden, welches Form prozessual als Explikation der Idee in der Erscheinung begreift und diese Formdynamik zugleich im Phänomenbereich liquider Umwelten verankert: Ästhetik, Morphologie, Naturphilosophie und romantische Poetik zeichnen sich unisono dadurch aus, dass sie ihren Formbegriff als ‚Hemmung‘ bzw. ‚Rückstau‘ einer entgrenzten Strombewegung konfigurieren und Form derart verzeitlichen. Damit ist die Differenz zwischen eidetisch-platonischer und endogen-romantischer Form auch und insbesondere an einem divergenten Verhältnis zu fluiden Verläufen festzumachen: Während in der Antike das Heraklit zugeschriebene Diktum des panta rhei („Alles fließt“) die flüchtige und fließende Zeit exemplifiziert, die indessen von keiner Form restlos eingeholt werden kann, rückt in der Moderne die Zeitlichkeit bzw. der Widerstand, der ihrem Fluss entgegengebracht wird, zum Paradigma von „Theorien vom Formwandel“ (Geulen) auf.

Wie dynamische Formmodelle über Arbeit am Liquiden ihre energetischen Ökonomien regulieren, ist aus literatur- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive Untersuchungsgegenstand der Tagung. Wie tarieren um 1800 Literatur, Kunst und ihre Theorien das Formideal dynamischer Prozessualität am Gefälle fluider Bewegungen aus? Inwiefern geht die „Verflüssigung aller Formverhältnisse“ (Schneider/Vogel) mit einer Neukonzeptionalisierung von Rhythmus und Metrik einher? In jedem Fall steht der Pluralisierung von Formkonstellationen ein breites Spektrum an ‚Liquiditätsszenarien‘ zur Verfügung, an denen sie sich durchdeklinieren lassen: Wasserkreislauf und ozeanische ‚Allnatur‘, reißende und stehende Gewässer, Katarakt und Austrocknung, Überflutungsphantasien und Deichkonstruktionen, Quellareale und Brunnenarchitekturen, Spiegeleffekte und Opazitätsschwellen. Damit lässt sich die Emergenz eines Formpluralismus um 1800 nicht nur auf eine Diversität ‚aquatischer Spielräume‘ abbilden. Zu berücksichtigen ist gleichfalls der ingenieurstechnische Fortschritt der Wasserbaukunst (Blackbourn), der systematisch die Trockenlegung von Sümpfen und Rektifizierung von Flussläufen erlaubt und damit Natur selbst als formbare Ressource in den Blickpunkt rückt.

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