Andrea Simone Gamp

Wenn Pierrot aus dem Kostüm rutscht: Die (De-)Figuration des weißen Clowns in Literatur & Malerei seit Watteau

In meinem Dissertationsprojekt verstehe ich die Figur Pierrot zunächst als ein Kulturphänomen, das inzwischen seit fünf Jahrhunderten diverse Medien bespielt – seien es Theater, Parade, Pantomime, Maskerade, Oper, Ballett und Zirkus, als auch Literatur, bildende Kunst und schließlich Film. Ursprünglich angelegt als Typus einer komischen Dienerrolle der Commedia dell’Arte auf den Wanderbühnen der Renaissance, überdauert der ‚mehlbleiche‘ Clown in Form von französischen Adaptionen im ausgehenden 17. Jahrhundert und Pantomimen im 19. Jahrhundert sogar seine Bühnentode. Diese Figurenkonzepte wirken durch das ausgeprägte Faible für Pierrot in der europäischen Moderne bis heute nach.

Der interdisziplinäre Ansatz dieses Projekts soll einige neuralgische Momente in der Entwicklung der Kunstfigur Pierrot in Literatur und Malerei phänomenologisch untersuchen, Watteau und die Moderne klammern. Dabei geht es nicht darum, diese Momente entlang der bisherigen Forschungslage deskriptiv zu koordinieren, sondern mithilfe der neueren Figurationsforschung zu erschließen. Mit einem flexiblen Theoriegefüge soll eine Methodik generiert werden, um die Figur Pierrot als theatrale Form aus den Parametern Körper, Kostüm, Maske, Mimik und Gestik in ausgewählten Texten ebenso wie in ihrer Übersetzung in Malerei zu konturieren. Das erklärte Ziel ist: Pierrot angesichts seiner Weißform und dissoziativen Façon als Defiguration zu überführen.

Die Fragestellung moduliert daher drei Hypothesen für die Werkanalysen. Erstens, Pierrot entspricht einem dynamischen Figurenkonzept (vgl. Erich Auerbachs Figura-Aufsatz), mit dem sich an die Bildtheorie und an die neuere Figurationsforschung (Wolfram Pichler, Gottfried Boehm, Gabriele Brandstetter) anknüpfen lässt: Ein dehnbares Theoriegerüst ermöglicht es, an einigen Stadien in der Historie mit Texten und Gemälden diverser Gattungen zu argumentieren, dass Pierrot seit Antoine Watteaus kuriosem Gemälde Pierrot, dit autrefois Gilles (1718/19) als Defiguration zu bestimmen ist. Zweitens, die Defigurationsprozesse sind als graduell auszudifferenzierende ‚Operationen‘ beobachtbar, wie Changieren, Splittern, Entfärben, Verstummen, Diffundieren, Entkörperung, Fragmentieren – auf einer Skala vom ‚Shift‘ der Identität bis hin zur Auflösung. Drittens gibt es immanente Gründe, weshalb Pierrot unter den so definierten Spielarten als eine ‚Figur des Sichausblendens‘ sinngemäß zurück in die weiße Grundierung strebt und dennoch bis in die Gegenwart (multimedial) präsent ist.


Lehre

SoSe 2022
PS Figuration des Komischen in Literatur und Malerei

WiSe 2022/23
PS Frei Nach Mallarmé: Nicht einen Gegenstand nennen – die Sache suggerieren! Symbolismus in Literatur und Malerei