© Christina Lembrecht
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Teilprojekt Prof. Dr. Anne Kraume

Abstract

Vor dem Hintergrund der in dem ersten Teilprojekt unternommenen literaturwissenschaftlichen Erschließung der Werke von Cornelius de Pauw untersucht das zweite Teilprojekt dessen Rezeption in Hispanoamerika und vor allem das diskursive Verhältnis zwischen den Recherches philosophiques sur les Américains und den sich auf diese beziehenden Schriften von hispanoamerikanischen (Spät-) Aufklärern und Vorkämpfern der Unabhängigkeit von Spanien. Am Beispiel von Autoren wie Francisco Javier Clavijero und fray Servando Teresa de Mier aus Neuspanien und Juan Ignacio Molina aus Chile analysiert das Forschungsvorhaben die Möglichkeiten und Funktionsweisen des transatlantischen Wissenstransfers an der Schwelle zum 19. Jahrhundert: Hatten die europäischen Aufklärer und namentlich Cornelius de Pauw Amerika vor allem als das «Andere» der europäisch-aufklärerischen Vernunft entworfen, wird diese vermeintlich klare Trennung in den Texten der hispanoamerikanischen Intellektuellen dadurch unterlaufen, dass bei ihnen die Übersetzung von Wissen in Literatur in einer Art und Weise geschieht, die auf Interdependenz und Zirkulation statt auf unidirektionale Abhängigkeiten setzt. Angelpunkt meiner literaturwissenschaftlichen Untersuchung ist die Frage nach den literarischen Gattungen und Formen, auf die hispanoamerikanische Autoren in ihren Repliken auf de Pauw zurückgreifen: Wenn dieser sich einer Vorgehensweise bedient, die auf eine Aktualisierung der überkommenen buchwissenschaftlichen Methoden zur Ordnung und Vermittlung von Wissen setzt (siehe Teilprojekt 1), dann manifestiert sich das Selbstbewusstsein der hispanoamerikanischen Kreolen nicht nur in der kritischen Diskussion der Thesen des europäischen Gelehrten, sondern auch in einer produktiven und teilweise durchaus ironischen Weiterentwicklung der von diesem verwendeten literarischen Formen und Gattungsdispositive. Auf diese Weise kann zu einem Zeitpunkt, zu dem sich der politische Raum zwischen Europa und Hispanoamerika neu ordnet, auch der literarische Raum neu vermessen und abgesteckt werden.